Das direkte sinnliche Erlebnis ist es, welches mich
an den Dingen reizt, das ich wieder freilegen und 
darstellen möchte, nicht intellektuell verschleiert,
sondern archarisch klar und offen.
Nicht die ewig gleichen glatten Oberflächen der
industriellen Standardstylings interessieren mich, sondern der vitaleKampf hinter der Fassade, 
da, wo die Funktion beginnt und die Täuschung aufhört,
wo direkte Erfahrung möglich ist. Diesem ewigen Einerlei
der Warenästhetik, diesen glatten sanitären Formen
der Autokühler und Waschbecken, der Telefonhäuschen
und Rolltreppen oder Legoklötzchen und Architektenklötzchen,
der Scheckkarten und Verpackungen aller Art möchte ich
entfliehen, hin zu den nackten Tatsachen dieser Welt.

Wie ein Schrottplatz eine Lektion in Sachen Wahrheit in Form ist,
wenn die Chassis der Sachen abgefallen sind (fühlen sich deshalb
so viele zeitgenössische Künstler immer wieder von Schrott angezogen?),
so gibt es Orte, die diese Verpackung noch nicht haben erleiden müssen.
Einer dieser Orte ist das Meer. Ich bin als Kind immer 3 Monate am Meer
gewesen, weil mein Vater dort ein Atelier hatte am Kattegatt,
im Norden Seelands, Dänemark.

Das Meer setzt Menschen Grenzen, er kann darin baden, darauf herumfahren,
aber es ist nicht sein Element, und obwohl es heute zunehmend verseucht wird,
so verschließt, verweigert es sich, es wird zur blauen Blume des Zivilisationskranken,
zur Metapher, die sinnlich erfahrbar ist, Metapher für Reinwaschung, Reinheit,
in philosophischer Überhöhung zur Läuterung von unseren Selbstbefleckungen.
Eine Metapher auch für unmittelbare, vitale Urkraft, die dauern wird, weil sie immer
in Bewegung ist. Dem Meer entströmt etwas Kristallin-Atmosphärisches.
Es gehört zum Reiz des Strandgutes, dass es aufgelesen und zu Hause aufgestellt,
ähnlich wie der Schrott, das Eigentümliche sichtbar macht. Das hat am Meer gelegen,
ist im Meer getrieben, ist eine Verwesentlichung der Dinge.

Diesen Formen fallen oft kleine Stücke ab, sie reduzieren sich auf eine einfache
Farbigkeit, mit kaltem Salz überzogen, originäre, organische Formen mit zarten
Verästelungen, filigrane Teile von Korallen, Tang, Seeigelgehäuse, fragile Objekte.
Zivilisationsobjekte werden durch das Wasser entstellt, deformiert, renaturalisiert.
Das Strandgut erreicht einen Grad von Abstraktion, der besticht.
Diese Stücke werden zu einem Zeugnis der ewig formenden Kraft der Natur,
alles Überflüssige ist von den Sachen abgefallen. Geblieben ist das, was dem
Wasser und den Gewalten widerstanden hat. Weiträumigkeit, Licht, Luft, Wind,
Salzgeruch, Witterungen wie Nebel, Regen, oder auch die Kraft der
Form und die Bewegung der Formen gilt es für mich darzustellen.

Ich möchte meine Bilder von einer vitalen Farbigkeit erfüllen.
Aus einem Büroalltag kommend würde das Gefühl völlig ausreichend sein;
dass es da noch etwas anders gibt, eine andere Dimension, die nicht
in den kläglichen Bezügen von Bürotisch, Ausdruck und Monitor existiert.
Es ist heute so schwer zu vermitteln...
"Oh wer sich einmal auf den Kopf sehen könnte" (Georg Büchner)

Die sinnliche Freude am Malen war immer die größte Triebkraft
meiner Arbeit und die Quelle, die meine Inhalte speist −
auf gegenständliche Richtigkeit habe ich nicht viel geachtet.
Erst gegen Ende des Studiums und die Jahre danach hatte ich
das Bedürfnis den Gegenstand und die gegenständliche Malerei
für mich aufzuarbeiten.

Bald wieder freier geworden, male ich jetzt ziemlich aus dem Bauch heraus
oder weniger stark abstrahierte, malerisch und farbig angelegte Bilder
vom Meer und seien "Artefakten", Strandgut, Müll und Seegetier oder
andere Sachen, an denen ich etwas Vitales, Großzügiges liebe und zeigen will.

Ich glaube, dass es auf dieser Welt, vornehm-
lich in den Entwicklungsländern genug
Menschen gibt, die nicht so satt und leiden-
schaftslos sind, wie viele von denen, die bei
uns das Sagen haben; deren Kulturen mit ihrer
unmittelbaren, frischen Ausdruckkraft, ob
in ihrer Musik oder in einem südafrikanischen
Ghettogedicht, unsere kulturelle Verbraucht-
heit ebenso nährt und belebt wie das Erdöl
und der Kaffee unsere Leiber. Menschen,
die aus Nichts etwas schaffen, deren
Kinder sich ihr Spielzeug aus Treibgut
und alten Büchsen selber machen - die
sind mir Vorbild und aus einer ähnlichen
Kraft möchte ich meine Bilder speisen
als Gleichnisse für den frischen Wind
der irgendwann unsere Neurosen weg-
pusten wird.

André Matthis Bednarczik